Hat Luther Selbstmörder begraben?
Hatte er Gewissensbisse nach der Niederschlagung des Bauernkrieges? War sein Kollege, Professor Carlstadt, ihr Anführer? Schlug Luther die Thesen wirklich an das Tor der Schlosskirche zu Wittenberg?
Mit diesen und anderen Fragen, ausgelöst durch den Lutherfilm von 2003 mit Sir Peter Ustinov, fuhren wir am 15.06.2017 morgens um 8 Uhr in die Lutherstadt Wittenberg. An den maßgeblichen Orten hörten wir kurze Referate zu den eben genannten und noch weiteren Fragestellungen. Jetzt kennt die Hälfte des kommenden zehnten Jahrgangs des GymHim den Ort, wo das Elstertor einst war, an dem Luther die Bannbulle verbrannte, sie kennt das Tor der Schlosskirche, wo er die 95 Thesen angeschlagen haben, auch das Lutherhaus, wo Luther in seinem Arbeitszimmer angeblich den Teufel mit einem Tintenfass verjagt haben soll.
Dabei standen auch durchaus lutherkritische Themen auf dem Programm: etwa die Lutherbegeisterung im Dritten Reich oder Luthers Aufruf zur Bekämpfung aufständischer Bauern. Die Schülerinnen und Schüler haben gelernt, dass der besagt berühmte Lutherfilm von 2003, finanziert u.a. von amerikanischen Lutheranern, einige Ereignisse inszeniert hat, die wohl bzw. vielleicht nie stattgefunden haben:
- das Begräbnis eines Selbstmörders auf dem Kirchfriedhof der Stadtkirche St. Marien – obschon Luther immerhin Selbstmörder als Opfer des Teufels und nicht als verdammungswürdige Täter ansah –
- das Bedauern Luthers über die toten Bauern des Bauernkriegs – sosehr Luther den Fürsten ins Gewissen geredet hatte, sie müssten sich um das Leid der Bauern mehr kümmern –,
- Professor Karlstadt als Anführer im Bauernkrieg.
Neben dem Luthers steht auf dem Marktplatz das Denkmal Melanchthons. Es ehrt den Praeceptor Germaniae, den Lehrer Deutschlands, der ein Schulwesen außerhalb der Klöster begründete. Mit 21 Professor für Griechisch geworden wurde er Begleiter und Stellvertreter Luthers. Mit dem Augsburgischen Bekenntnis sicherte er im Heiligen Römischen Reich die freie Religionsausübung aller Protestanten, 1530 der Lutheraner wie schließlich auch 1540 der Reformierten.
Schließlich standen noch Turmerlebnis und Bibelauslegung, die Reliquiensammlung des Kurfürsten und die Leipziger Disputation mit Johannes Eck auf dem Programm. Die knapp drei Stunden Wittenberg hatten es in sich. Wittenberg ist ein sehr hübsches interessantes Städtchen. Man hätte noch Luthers und Melanchthons Grab in der Schlosskirche bestaunen können oder das Asisi Panorama, aber dafür reichte die Zeit einer Tagesexkursion leider nicht mehr.